Vor 150 Jahren erschien der Artikel "On Chorea" von George Huntington

Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Chorea_Huntington#/media/Datei:On_Chorea_with_photo.jpg

Vor genau 150 Jahren, am 13. April 1872, erschien der Artikel "On Chorea" von George Huntington in der angesehenen Fachzeitschrift "The Medical and Surgical Reporter" aus Philadelphia, USA. Das Manuskript beruhte auf einem Vortrag, den der junge Arzt wenige Wochen zuvor in Ohio gehalten hatte. Der letzte Abschnitt widmet sich einer "besonderen, erblichen" Form der Chorea und ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Medizin geworden. Der Artikel kann hier nachgelesen werden (Englisch): https://en.m.wikisource.org/wiki/On_Chorea.

George Huntington war ein Landarzt in East Hampton, New York, USA, der bei seinem bemerkenswert einfühlsamen Bericht auf die Erfahrungen seines Vaters und seines Großvaters zurückgreifen konnte, die in der Gegend ebenfalls als Ärzte tätig waren. Die Ärzte-Familie überblickte zusammen fast 80 Jahre und somit mehrere Generationen ihrer Patienten-Familien. Neben der sehr treffenden Beschreibung der klinischen Merkmale, einschließlich der psychischen und kognitiven Veränderung, ist sein Artikel besonders bemerkenswert, da er den autosomal-dominanten Erbgang klar beschreibt - obwohl Gregor Mendels genetische Gesetze damals noch gar nicht bekannt waren.

Die Beschreibung Huntingtons ist ein frühes und eindrucksvolles Beispiel dafür, dass eine genaue klinische Beobachtung in Verbindung mit einer guten Auffassungsgabe sehr grundlegende Erkenntnisgewinne ermöglichen kann. Außerdem belegt der Fall, dass es, was Ruhm und Anerkennung angeht, hilfreich ist, wenn man auf Englisch veröffentlicht. Ein 12 Jahre älterer Bericht des norwegischen Arztes Johan Christian Lund ist bis heute weitgehend unbemerkt geblieben, nicht zuletzt, da dieser ihn in seiner Muttersprache abgefasst hatte. Huntingtons Artikel wurde schon schnell sehr beachtet und auch früh ins Deutsche übersetzt. Er markiert daher zurecht die Geburtsstunde der Huntington-Forschung.

In 150 Jahren ist viel erreicht worden: die Rolle der Basalganglien wurde erkannt, das Huntington-Gen und seine Mutation wurden identifiziert, einige Symptome können medikamentös kontrolliert werden, die Hilfs- und Heilmittelversorgung hat sich enorm verbessert, erste Biomarker wurden etabliert – aber wir können die Krankheit immer noch nicht heilen. Methoden zur Stummschaltung der Huntington-Mutation rücken weiter in greifbare Nähe, aber es wird immer wieder ernüchternde Rückschläge geben. Daher ist es immens wichtig, dass die klinische und die Grundlagen-Forschung weitergehen. Das geht nur wenn Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen, Betroffene und Angehörige voll zusammenarbeiten. Dies bleibt die vordringlichste Aufgabe der ganzen Huntington-Gemeinschaft.

Literaturtipps:

  • Schuchart, Sabine: Berühmte Entdecker von Krankheiten: George Huntingtons Blick für das Außergewöhnliche; Dtsch Arztebl 2018; 115(50): [64]
  • Wexler, Alice; Wild, Edward; Tabrizi, Sarah: George Huntington: a legacy of inquiry, empathy and hope; Brain 14 Jul 2016, 139(Pt 8):2326-2333

PD Dr. Patrick Weydt

Uniklinikum Bonn und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen

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