Schicksal und ich

Schicksal und ich

Als ich im Dezember 2014 mein positives Testergebnis erhalten habe, hatte ich unter anderem auch den Gedanken: “Warum ich? Warum passiert das jetzt ausgerechnet mir?“ Sicherlich war jede*r von uns schon in Situationen, in denen wir mit unserem Schicksal gehadert haben. Eigentlich hat der Begriff Schicksal keine eindeutig bewertende Bedeutung. Das Schicksal kann es gut oder auch schlecht mit einem meinen. Unter Schicksal verstehen viele Menschen eine Art höhere Macht oder Kraft, die das Leben einer Person ohne direktes menschliches Zutun entscheidend beeinflusst.

In der Regel hadern die meisten Menschen mit ihrem Schicksal, wenn ihnen etwas Negatives passiert. Die wenigstens in unserer Gesellschaft schaffen es tatsächlich sich über positive Ereignisse zu erfreuen, weil wir uns zu sehr auf Negatives fokussieren. Oder sind die ersten Gedanken am Morgen: “Juhu, ich bin heute Morgen wieder aufgewacht. Mir geht es gut und ich lebe.“ Natürlich ist das Leben als Genträger*in nicht einfach. Egal mit welcher Erkrankung man morgens aufwacht, das Leben ist eine Herausforderung. Eine Erkrankung ist wie ein Mangel in der Gesundheit. Im Leben müssen wir Menschen uns oft auch mit anderen Mängeln auseinandersetzen. Oft fehlt es an Geld, Zeit, Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Essen, Wärme, Frieden etc. Ich könnte noch viele andere Beispiele aufzählen, an denen es und – subjektiv wahrgenommen – fehlt. Ich könnte allerdings auch ebenso viele Begriffe für Dinge aufzählen, an denen es uns nicht fehlt bzw. die wir eventuell sogar im Überfluss haben. Warum fokussieren wir uns die meiste Zeit auf das Negative in unserem Leben?

Im Dezember 2022 bin ich zufällig auf Stefanie Ewald aus Hamberge (Instagram @sebastianjonasneeleewald) durch einen Instagram Post aufmerksam geworden.
Es ist ein schweres Schicksal, mit dem Stefanie Ewald zu kämpfen hat:

Vier der fünf Familienmitglieder sind innerhalb weniger Jahre an Krebs erkrankt. Jonas starb im Dezember 2019 im Alter von 10 Jahren, der 37jährige Sebastian folgte ihm im März 2020. Und während Mama Stefanie 2020 selbst gegen Brustkrebs kämpfte, erhält auch noch die kleine Neele, damals sieben Jahre alt, die grausame Diagnose “unheilbarer Hirntumor”. Zwei Jahre lang kämpfte das kleine Mädchen tapfer gegen den Krebs. Einen Kampf, den auch die Kleine im Juli 2022 letztendlich verlor. Töchterchen Neele war bereits mit zwei Jahren das erste Mal an Krebs erkrankt. Vater, Sohn und auch Tochter Neele litten an dem seltenen Li-Fraumeni-Syndrom. Dabei handelt es sich um einen genetischen Defekt, der für ein stark erhöhtes Krebsrisiko sorgt. Sebastian Ewald hatte das Syndrom von seinem Vater geerbt, der mit 39 Jahren an Krebs starb. Und Sebastian vererbte es wiederum an Sohn Jonas und Tochter Neele. Nur beim jüngsten Kind der Familie, Lenja, wurde der Gendefekt bisher nicht festgestellt.

Stefanie Ewald gebührt mein absoluter Respekt. Trotz dieses unfassbaren Schicksals, drei ihrer Liebsten innerhalb kurzer Zeit verloren zu haben, kämpft sie jeden Tag weiter. Sie steckte den Kopf nicht in den Sand, sondern hat sich jeden Tag wieder erneut ihrem Schicksal gestellt. Mir kommt dann auch immer der Song “Wie soll ein Mensch das ertragen“ von Philipp Poisel in den Sinn. Ich finde dieses Lied ist so schön melancholisch, auch wenn es eigentlich um unerfüllte Liebe unter Freunden geht.

Für mich, auch ohne eigene Kinder, ist das fast unbegreiflich, woher Stefanie diese unglaubliche Kraft genommen hat. Immer wenn ich dann mit meinen eigenen Herausforderungen des Lebens hadere, schaue ich mir das Profil von Stefanie bei Instagram an und führe mir damit vor Augen, wie gut es mir trotz meines Gendefekts aktuell noch geht. Natürlich weiß ich nicht, was die Zukunft für mich noch bereit hält oder wie mein Tag morgen aussehen wird. Mit meinem Gendefekt habe ich vielleicht nicht die erstrebenswertesten Aussichten.

Ohne diesen Gendefekt wüsste ich allerdings auch nicht, was die Zukunft für mich noch bereit hält oder wie mein Tag morgen aussehen wird. Durch meinen Gendefekt bin ich aber auch nicht ausgenommen von einer Krebserkrankung oder von anderen harten Schicksalsschlägen. Ich kann allerdings versuchen die Zeit, in der mein Gendefekt mein Leben noch nicht entscheidend beeinflusst, zu nutzen, das Positive in meinem Leben mehr in den Fokus zu stehlen. Das ist natürlich nicht so einfach wie es sich anhört. Deshalb sollte man sich schon an den kleinen schönen Dingen im Leben erfreuen, zum Beispiel: wenn man morgens einer Amsel zuhören kann; wenn man ohne Schmerzen morgens aufwacht; wenn man die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut im Gesicht spürt. Es kostet jeden Tag Kraft sich immer wieder das Gute im eigenen Leben vor Augen zu führen. Diese Kraft wünsche ich auch meinen Leser*innen. Denn schließlich kann doch keiner von uns vorhersagen, was das Schicksal für uns bereithält.

Eure Doris

April 2023

PS: Schreibt mir gerne an doris@dhh-ev.de