Rückblick und ich

Rückblick und ich

Bereits zu Beginn diesen Jahres habe ich mich auf diesen Text gefreut, weil sich im Dezember 2024 mein persönliches Jubiläum jährt: 10 Jahre positiver Gentest. Aktuell gehe ich davon aus, dass noch ein paar weitere Jubiläen folgen werden. Diese Gedanken waren 2014 noch nicht selbstverständlich. Damals gab es einige Internetseiten, auf denen stand, dass man als Genträger nur eine Lebenserwartung von 10 bis 15 Jahre nach Diagnose bzw. positivem Gentest haben würde. Natürlich war ich ziemlich geschockt und wollte deshalb beweisen, dass diese “Statistiken“ bei mir nicht zutreffen würden. Erst recht, als ich bei der Selbsthilfegruppe in Mainz bei meinen ersten Treffen Andreas getroffen hatte, der seine Frau bereits 15 Jahre liebevoll umsorgte und mit viel Erfinderreichtum sich einige Hilfsmittel gebaut hatte. Er gab mir damals die Hoffnung, dass ich diesen schwierigen Weg mit den richtigen Menschen an meiner Seite schaffen würde. Das Leben ist der Weg.

Wenn ich jetzt auf die letzten 10 Jahre zurückblicke, dann mache ich das mit einem lachenden und weinenden Auge. Die letzten 10 Jahre waren definitiv nicht einfach, aber auch nicht nur beschwerlich. In der Huntington-Community hat sich einiges verändert. Neben den offensichtlichen Sachen wie die Gestaltung der Homepage und der Informationslektüren ist die Erkrankung viel bekannter geworden. Bedauerlich ist die Tatsache, dass es in Heiligenhafen keine Huntington-Station mehr gibt, aber vielleicht ändert sich das irgendwann wieder. Die kleine Stadt an der Ostseeküste hat ein sehr besonderes Flair. Dafür sind aber auch neue Experten hinzugekommen, die den Staffelstab von unseren erfahrenen Fachärzten übernommen haben (siehe am Beispiel Taufkirchen /Vils).

In den letzten 10 Jahren haben sich auch einige neue Selbsthilfegruppen gegründet und bieten den Betroffenen und Angehörigen eine erste Anlaufstelle, wenn Huntington in der Familie zum Thema wird. Dadurch wurde unser Netzwerk in Deutschland erweitert. Auch die Angebote und Informationen der DHH für ihre Mitglieder ist ordentlich gewachsen, sodass die DHH auch für junge Menschen attraktiver geworden ist. Selbst auf den sozialen Medien wie YouTube, Instagram und Facebook hat die DHH ihren eigenen Auftritt und erreicht dadurch viele Betroffene und Angehörige.

Wenn ich zurückschaue, dann war ich an der Nordsee zu Weihnachten/Silvester 2014 ziemlich down. Mein Arbeitgeber hatte am 14.02.2014 die Standortschließung bekannt gegeben und ich war dadurch seit 01.07.2014 arbeitslos. Meine Lebensplanung bezüglich Familienplanung war zerplatzt; ich war mir nicht 100 % sicher, ob mein Ehemann wirklich bei mir bleiben würde; und überhaupt hatte ich noch einige ganz andere private, ungewöhnliche Herausforderungen im Rucksack. Als wir von der Nordsee zurückkamen, habe ich schnell versucht, einen anderen Job zu finden und einige nicht passende Jobs ausprobiert. Einmal habe ich die Diagnose auch als Ausrede für die Kündigung missbraucht. Da bin ich nicht so stolz drauf, aber was solls.

Im Oktober 2015 waren mein Mann und ich dann in Taufkirchen (damals noch unter Leitung von Prof. Dr. Dose) zur Teilnahme an der Enroll-Studie. Dadurch konnte ich auch Prof. Dr. Dose persönlich kennenlernen, der sich ziemlich spontan zwei Stunden Zeit für mich bzw. uns genommen hat. Auch diese Erfahrung war großartig für mich, weil er mir bzw. uns auch Hoffnung gab. Nicht die Hoffnung auf Heilung oder Medikamente, sondern Hoffnung auf das Leben. Er hatte so viele lebhafte Beispiel von Genträger*innen und Angehörigen, sowohl schöne und traurige, dass wir doch gestärkt dort wegfuhren.

Im Laufe der Zeit hatte ich auch mal an Treffen der SHG Mainz teilgenommen, mal mit Mann, mal mit Freundin, mal allein. Alles so wie ich es vertragen habe. Dann war ich mal in Münster beim GHI zur Studienteilnahme, dann in der UK Düsseldorf. Dadurch habe ich auch gemerkt, dass es bei den Tests der Enroll-Studie geringe Abweichungen bei den Übungen gab und habe dies auch bei der DHH weitergeben. In der Regel fällt das nicht auf, da es sonst niemanden gab, der verschiedene Zentren aufsucht.

Na ja, lange Rede, kurzer Sinn: Es brauchte Zeit, bis ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin und mein Weg ist noch nicht zu Ende, hoffe ich zumindest, aber so genau weiß man das ja doch nicht. Toll ist es, wenn man Familie und/oder Freunde hat, die einem auf dem Weg begleiten. Es gibt kein richtig und/oder falsch. Ich habe trotz des positiven Gentests lange Zeit als Leitungskraft mit ca. 20 Mitarbeitern gearbeitet. Ich fahre trotz des positiven Gentests Motorrad. Ich trinke auch mal einen Wein oder ein Bier, fahre in Urlaub und versuche das Beste aus meinem Leben zu machen. Und Schokolade esse ich auch.

In meinen letzten 27 Beiträgen für den Huntington-Kurier habe ich über viele Themen geschrieben, die mich auf meinem Weg beschäftigt haben. Vielleicht haben Sie sich in manchen Texten wieder gefunden oder meine Gedanken konnten Ihnen Hoffnung geben trotz positivem Gentest. Die Themen finden Sie im beigefügten Bild.

Auch in diesem Jahr wünsche ich Ihnen eine stressfreie Vorweihnachtszeit, besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2025.

Eure Doris