Gelassenheit und ich

Gelassenheit und ich

Während meiner Zeit bei Caritas hörte ich das erste Mal vom Gelassenheitsgebet vom US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, in dem Gott um Gelassenheit, Mut und Weisheit gebeten wird. Natürlich möchte ich hier keine Glaubensfrage eröffnen. Denn ich selbst bin der Meinung, dass jeder selbst entscheidet, an wen oder was er glaubt oder auch nicht. Manchmal höre ich noch die Stimme der früheren Kollegin in meinem Inneren, die leise sagt:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

 

Damals war es für mich nur eine Redewendung. Doch im Laufe der Jahre erkannte ich einen tieferen Sinn hinter den Worten. Gerade in Bezug auf meine Krankheiten beinhaltet dieses Gebet wichtige Gesichtspunkte.

Unsere Gene, die praktisch bei unserer Zeugung festgelegt wurden, können wir nicht grundlegend ändern; zumindest noch nicht. Wir können allerdings die Umstände in unserem Leben ändern, sofern wir den Mut dafür aufbringen. Es bedarf Mut aus alten, gewohnten Mustern auszubrechen bzw. diese hinter sich zu lassen. Egal, ob man mit seinem Vorgesetzten sprechen will, damit man seine tägliche Arbeitsleistung im Job reduziert oder eine unglückliche Liebesbeziehung zu beenden, wodurch man einige Zeit Single ist. Auch seine Ernährung umzustellen, kann in manchen Familiensystemen auf Gegenwehr stoßen.

Es ist auch für die eigenen Kräfte wichtig, unterscheiden zu können, für welche Dinge man seinen Mut und seine Kraft einsetzen sollte. Es bringt schließlich nichts, sich für Themen aufzureiben, die man nicht ändern kann. Wenn ich da an meine Sturm- und Drangzeit mit Anfang zwanzig denke, das war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich wollte schließlich die Welt verändern, Karriere machen, Menschen führen und große Erfolge feiern. Im Laufe der Jahre haben sich allerdings meine Prioritäten verändert; teilweise erzwungen und teilweise selbstbestimmt.

Doch irgendwann habe auch ich erkannt, dass ich nicht bei jedem Kampf auf der Arbeit mitmischen muss oder sich Dinge auch verändern ohne mein Zutun und Einfluss. Mittlerweile versuche ich, bei wichtigen Themen vorher zu überlegen: Betrifft es mich direkt? Lohnt es sich, dass ich meine Kraft dafür einsetze? Kann ich überhaupt etwas verändern?

Ich bin kein Mediziner und werde die Erkrankung Huntington nicht bekämpfen können. Man kann diese Krankheit aktuell nicht bewältigen. Bewältigen würde für mich bedeuten, dass ich die HK überwinden könnte und genesen kann – wie einen Berg, bei dem man auf einer Seite hochläuft und auf der anderen Seite wieder runter. Aktuell gibt es bei der HK nur den Gipfel, auf der anderen Seite geht es nicht runter. Man kann die Erkrankung nur akzeptieren, was allerdings nicht gleichzusetzen ist mit resignieren. Denn wer resigniert, gibt sich selbst auf.

Jahrelang habe ich innerlich einen Kampf mit mir selbst geführt, weil ich Angst hatte, dass, wenn ich gelassener mit Situationen umgehe und mich weniger aufrege, dann einen wichtigen Teil von mir aufgebe. Mittlerweile weiß ich, dass das falsch war. Ich habe in der Vergangenheit viele Kämpfe geführt, die von vornherein sinnlos waren. Damals hatte ich noch nicht erkannt, dass manche Dinge nicht zu ändern sind und ich mit dem Akzeptieren besser vorangekommen wäre.

Durch das Akzeptieren von bestimmten Umständen bin ich viel gelassener geworden. Ich rege mich weniger auf und schone damit meine Nerven und Kräfte. Für Dinge, die mir wichtig sind, kämpfe ich weiterhin wie eine Löwenmutter. Damit erschrecke ich manchmal Menschen in meinem Umfeld, weil sie die Kämpferin in mir noch nicht kannten. Aber lieber so, als dauerhaft im Kampfmodus zu sein.

Früher haben mich kleinste Missgeschicke aus der Fassung gebracht und einen Nervenzusammenbruch hervorgerufen. Wir waren beispielsweise gerade frisch umgezogen in unsere erste eigene gemeinsame Wohnung. Deshalb war ich bei Hornbach ein paar Einrichtungsgegenstände einkaufen, darunter auch eine große Einblatt-Pflanze. Es gab nur noch eine Einzige für diesen Preis. Nach dem Bezahlen bin ich mit dem Einkaufswagen über ein Kabel gefahren. Dies hatte zur Folge, dass der Klappkorb am Einkaufswagen ausklappte und auf die Pflanze knallte.

Dadurch fiel die Pflanze um und alle Blattstängel knickten ab. Total aufgelöst rief ich am Auto meinen damaligen Freund (heute Ehemann) an und schluchzte ihm ins Telefon. Vor lauten Heulattacken konnte er mich nicht verstehen und befürchtete, dass ich einen Autounfall gehabt hatte. Es dauert einige Minuten, bis ich mich beruhigen konnten und er mich einigermaßen akustisch verstehen konnte. Im Nachhinein kann ich über die Situation schmunzeln, in dieser Situation brach eine Welt für mich zusammen.

Seit fast zehn Jahren versuche ich meine Gene zu akzeptieren. Natürlich gelingt das nicht immer zu 100 Prozent, aber auch 75 Prozent kann an schlechten Tagen ausreichen. Damit gewinnt man nämlich ein Gefühl der Freiheit und Entspannung, was mit meinen Genen viel wichtiger ist. Diese Gelassenheit habe ich mir unter anderem von Senioren in der Corona-Hochphase abgeschaut, als sie abgeschirmt im Altenheim saßen, oder auch von Krebspatienten, die trotz langer Genesungszeit erneut Metastasen hatten.

Durch diese Gespräche und Erlebnisse habe ich erfahren, dass es leichter wird, wenn man Situationen, die man nicht ändern kann, annimmt und akzeptiert und versucht das Beste daraus zu machen, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Vielleicht kann ich meine Leser ein wenig anregen, im Alltag etwas Gelassenheit zu üben. Manchmal hilft es auch, die Redewendung an den Badspiegel zu hängen, damit man jeden Tag beim Zähneputzen daran erinnert wird.

Oder was sind eure Tipps für mehr Gelassenheit? Ich freue mich auf eure Nachrichten zum Thema Gelassenheit oder über euer Feedback zu meinem Beitrag.

Eure Doris